Die stille Kraft der Präsenz – warum nichts tun manchmal alles verändert
Ich begleite Frauen in einem offenen, stillen Raum der Selbstbegegnung. Ohne Methode. Ohne Technik. Und immer wieder bin ich tief berührt davon, was in ihnen geschieht, wenn ich nichts tue – außer da zu sein. Wenn in ihnen ihre ganz eigenene Lösung entsteht.
Was ich dabei erlebe, ist nicht leicht zu beschreiben, aber vielleicht kennst du dieses Bild: Es ist, als würden wir innerlich an einer offenen Wunde herumknibbeln – mit unseren Gedanken, unserer Selbstkritik, unseren Gefühlen. Wir versuchen zu verstehen, zu analysieren, zu lösen. Und in diesem ständigen "Tun" hindern wir den eigentlichen Heilungsimpuls daran, sich zu zeigen und sich zu entfalten.
Was aber geschieht, wenn dieser Drang zur Veränderung unterbrochen wird?
Wenn jemand einfach da ist. Still. Ohne Urteil. Ohne Erwartung. Ohne etwas von mir zu wollen.
Dann hört etwas in mir auf, zu greifen. Und etwas Tieferes beginnt zu atmen und sich zu zeigen.
Ich habe das Gefühl, dass unser System – unser Nervensystem, unsere Seele, unser Körper – dann auf sich selbst zurückgeworfen wird. Aber nicht mit Scham oder Druck. Sondern weich. Ohne sich verteidigen zu müssen. Und in dieser Weichheit beginnt das System, sich selbst zu spüren. Nicht als Konzept, sondern als lebendige Welle. Ein Zittern. Ein Strom. Ein Impuls. Etwas, das schon immer da war und nur Raum gebraucht hat.
Präsenz ist dieser Raum.
Sie tut nichts. Aber sie löscht das Echo der inneren Unruhe. Sie verzerrt nicht. Und genau deshalb wird sie zu einer Einladung für das, was aus der Tiefe aufsteigen will: die ureigene Bewegung der Heilung.
Warum ist das in vielen therapeutischen Kontexten so selten? Vielleicht, weil wir gelernt haben, dass es immer um Technik, Methode, Intervention geht. Um das "Tun". Präsenz aber macht nichts. Sie bewertet nicht. Sie kontrolliert nicht. Sie ist einfach da.
Und genau darin liegt ihre Kraft.
Für mich ist das nicht passiv. Es ist die aktivste Form von Gegenwart, die ich kenne: Ich bin so leer, dass der andere sich selbst begegnen kann. Ich bin so urteilsfrei, dass alles da sein darf. Ich bin so wach, dass nichts mehr "gemacht" werden muss.
Vielleicht ist das die tiefste Einladung, die wir einander schenken können: Nicht Lösungen. Sondern Raum. Nicht Antworten. Sondern Resonanz. Nicht Tun. Sondern Sein.
Und manchmal geschieht genau dann alles, was es braucht.